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2024

Offener Brief der Studierenden des Zacharias Frankel College

Europas einziges Masorti-Rabbinerseminar, das Zacharias Frankel College in Potsdam, könnte bald schließen. Im Mai 2022 erschütterte ein Bericht über Machtmissbrauch und die Verletzung wissenschaftlicher Integrität das Abraham Geiger Kolleg an der Universität Potsdam. Auch unsere Einrichtung, das Zacharias Frankel College, war davon betroffen, da die Person, der Machtmissbrauch vorgeworfen wurde, auch Geschäftsführer unseres College war. In der Folge der von der Universität Potsdam und der Anwaltskanzlei Gercke Wollschläger eingeleiteten Untersuchungen wurden die Vorwürfe bestätigt. Darüber hinaus wurden Empfehlungen für eine Neustrukturierung der Rabbinerausbildung an der Universität Potsdam ausgearbeitet, um Machtmissbrauch und Ämterhäufung zukünftig zu verhindern, transparente Leitungsstrukturen zu etablieren und die gravierende Benachteiligung des Zacharias Frankel College bei Finanzierung und Personalschlüssel gegenüber dem Abraham Geiger Kolleg zu beenden.

Uns Studierende erfüllten diese Pläne mit großer Hoffnung. Das Zacharias Frankel College ist ein traditionsbewusstes und zugleich egalitäres, also Männer und Frauen als gleichberechtigt betrachtendes Rabbinerseminar, dessen Absolventen derzeit in Gemeinden in Deutschland, Frankreich, Spanien und den USA tätig sind. Zwei weitere Rabbiner sollen in diesem Jahr ordiniert werden und insbesondere in Deutschland tätig werden. Acht weitere Studierende aus vielen verschiedenen Ländern studieren aktuell am College, um in Zukunft als Masorti-Rabbinerinnen und -Rabbiner in jüdischen Gemeinden in Deutschland und Europa arbeiten zu können. Masorti bedeutet im Hebräischen “traditionell”. Masorti ist einzigartig in der Weise, wie es moderne Werte (z.B. Inklusion und die Gleichberechtigung der Geschlechter) in das traditionelle Judentum integriert und die Halacha achtet. Der Vize-Präsident des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer, sagte in seinem Grußwort anlässlich der Ordination dreier Frankel-Absolventen im Oktober 2022, “Der Zentralrat steht fest zum ZFC als rabbinische Ausbildungsstätte, heute und in der Zukunft.” und “Das jüdische Leben in Deutschland kann nur dann blühen und gedeihen, wenn wir weiterhin dafür sorgen, dass alle Strömungen des Judentums geeigneten rabbinischen Nachwuchs heranziehen können.” Jetzt, am Ende des Wintersemesters 2023/24, ist von dieser Hoffnung nichts geblieben. Nichts von den Plänen ist umgesetzt worden. Stattdessen herrscht, nachdem die Jüdische Gemeinde zu Berlin im Januar 2023 die Trägerschaft unserer Institution übernommen hat, größere Unklarheit als jemals zuvor.

Trotz mehrfachen Bemühungen unserer Leitung Dr. Sandra Anusiewicz-Baer gab es bis jetzt noch immer keine Gespräche mit dem neuen Träger zur Zukunft des Colleges. Die Gemeinde hat ebenso alle Kommunikationsversuche mit den Dekanen der Ziegler School of Rabbinic Studies in Los Angeles unbeantwortet gelassen, die von Anfang an mit dem Zacharias Frankel College zusammengearbeitet haben, um Akkreditierung, Lehrkräfte und Lehrplanunterstützung bereitzustellen, Ressourcen zu teilen und uns bei der Vernetzung mit wichtigen jüdischen Institutionen in Israel und den USA zu helfen. Dem Frankel College wird nicht einmal ein nachhaltiges Budget zur Verfügung gestellt, um eine langfristige Planung zu ermöglichen und Lehrangebote zu entwickeln.

Mehr denn je braucht die jüdische Gemeinschaft rabbinische Führungspersönlichkeiten. Schutz jüdischen Lebens bedeutet auch die Unterstützung und Stärkung der jüdischen Gemeinschaft durch ihre Rabbinerinnen und Rabbiner. Daher fordern wir die Jüdische Gemeinde zu Berlin auf, ihre Verantwortung als Träger zu übernehmen. Des Weiteren fordern wir den Zentralrat der Juden in Deutschland und seine Unterstützer auf, konkrete Schritte zur Rettung des Zacharias Frankel College zu unternehmen, damit nach der Schoah kein Rabbinerseminar in Deutschland geschlossen werden muss, sondern weiterhin in Deutschland und Europa rabbinische Führungskräfte für die Zukunft ausgebildet werden, die ausgestattet sind, um unsere Gemeinden mit profundem jüdischem Wissen rabbinisch zu versorgen.

Wir brauchen für unser Rabbinerseminar dringend ein verlässliches Budget, langfristige Planung, transparente Leitungsstrukturen, und mehr Personal, um die Masorti-Rabbinerausbildung in einem sicheren, professionellen, nachhaltigen und würdigen Umfeld fortzuführen. Wenn jetzt nicht gehandelt wird, wird zugelassen, dass die jüdischen Gemeinden in Deutschland und die deutsche Gesellschaft eine wesentliche Quelle für die Stärkung und Erneuerung jüdischen Gemeindelebens verlieren.

Studenten des Zacharias Frankel Colleges

15ten Februar 2024

2023:

Article in Portal Transfer of the University of Potsdam

Read the German original here (page 40-41)